United And Strong

Tag 1 – 27.09.2012 – Berlin-Lissabon

Ich glaube, dass in dem Moment, in dem wir in Schönefeld standen, noch keinem von uns der Tragweite bewusst war, von dem was vor uns liegen würde. Mit Touren kannten wir uns aus, mit unüblichen Ländern und fragwürdigen Grenzen waren wir vertraut, aber diese Tour war eine Premiere für uns. In mehrfacher Hinsicht. Starteten wir immer mit dem Transit aus Berlin, mussten wir diesmal in ein Flugzeug steigen. Das wirkte sich auch direkt auf unser mitzunehmendes Equipment aus. 4 Leute hieß 8 Gepäckstücke bis 32kg. Gitarre und Bass im Case, verklebt, mit Folie umwickelt und einer Aluplatte Marke „Gebel“ als Deckelverstärkung, zwei Seesäcke voller Merch, Biancas Becken und drei weitere massive Koffer gefüllt mit Snare, Fußmaschine, Gitarrenkrams, 7 inches, Tapes und noch mehr Merch. Im Handgepäck befand sich unser privater Krams, heißt: Wechselschlüpfer und -shirts. Natürlich hatten wir Schiss, dass es Stress beim Einchecken geben würde. Die Gitarrenkoffer waren etwas zu groß und wer weiß welche Gefahrengüter sich eingeschmuggelt haben. Ich hatte eh ein scheiß Gefühl, meine Gitarre aufzugeben. Ich sah mich schon in Sao Paulo stehen, den Koffer öffnen und ein Gitarrenpuzzel anzufinden. Aber es musste sein.
Wie immer ging alles glatt. Übergepäck mussten wir nicht bezahlen, zur Nachkontrolle nicht antreten. Wir flogen zuerst nach Lissabon, hatten dort 11 Stunden Aufenthalt über Nacht um am nächsten Morgen das Flugzeug nach Sao Paulo zu bekommen. Fluggesellschaft unserer Wahl war TAP aus Portugal. 3 Min. googlen brachte die Haarsträubendsten Geschichten und miesesten Kundenbewertungen ans Licht, aber der Flug war günstig, wir sind hart im nehmen und scheißen eh auf das was im Internet steht. Zuallererst hatten wir mit der Stunde Verspätung zu kämpfen. Zeit zum Umsteigen hatten wir zu Genüge, wir mussten nun aber noch eine Stunde in Schönefeld abgammeln. Bianca entdeckte ihren Hass auf Sudoku neu, schmiss ihr Heft in den Müll und kaufte sich ein Kreuzworträtselheft. Ich fing ein neues Spiel Pokemon Gold an, das sollte mich einige Zeit bei Stange halten. Irgendwann gings dann auch los und der Flug war keinesfalls schlecht. Das vegetarische Essen war genießbar, dazu wurde Weißwein und Cola getrunken und die 3,5h gingen recht schnell um. Mein rechtes Auge hat die Landung nicht sonderlich gut überstanden und war extrem gerötet. „Alles was weiß ist, ist rot“ so die Aussage der Kollegen. Aber auch das war 30min später vorbei.
Unser Gepäck hatten wir nach Sao Paulo durchgecheckt. Im Flughafen hielten wir eine kurze Krisensitzung ab wie die kommenden 11 Stunden am sinnvollsten und menschlichsten verbracht werden können. Wir entschieden uns die Metro nach Lissabon zu nehmen, dort etwas zu essen und gegebenenfalls die Stadt etwas auszuchecken. Unser Gepäck ließen wir am Flughafen wegsperren. 40 Minuten dauerte die Fahrt in die Innenstadt, wo es 10min nach unserer Ankunft angefangen hat zu regnen. Irgendwann regnete es sich dann richtig schön ein und wir stellten resigniert fest, das unser Plan komplett gescheitert ist. Um trotzdem etwas zu essen, kauften wir im Supermarkt Brötchen und Belag für wenig Geld und fuhren die 40 Minuten zurück zum Flughafen. Es standen uns ca. 7 schreckliche Stunden bevor, da es ja auf Flughäfen allgemein verpönt ist, menschenwürdige Liegebedingungen zu bieten. Ich verbrachte die meiste Zeit auf einer Sitzreihe mit fünf schrägen Plastiksitzen. Ich schlief immer ca. 20 min, bis der Schmerz mich weckte. Dann drehte ich mich und das Spiel begann von vorne.

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Tag 2 – 28.09.2012 – Lissabon – Braganca Paulista (Brasilien)

Gegen fünf Uhr dreißig hatte ich keinen Bock mehr auf die Scheiße und begann zu stromern. Kurze Zeit später erwachten auch die anderen und wir entschieden und trotz guter 3 Stunden Zeit schonmal einzuchecken. Am Schalter dann die Schocknachricht. Wegen Überbuchung waren 2 Plätze von uns auf Standby., d.h. nicht sicher. Wir sollten uns zum richtigen Gate bewegen und dort einen TAP-Mitarbeiter anlabern, was wir natürlich umgehend taten. Der Sicherheitscheck wurde wegen ein paar Vordränglern in die Länge gezogen. Während wir eine Vordränglergruppe von 4 Senioren von Berlin bis nach Lissabon gnadenlos gemobbt haben, gelang es uns hier nicht so gut. Egal. Es ging zum Gate. Drei Stunden vorher ist da natürlich noch niemand also plazierten wir uns taktisch gut und schlugen die Zeit mit möglichst pessimistischen Szenarien und Plan B/C/D/E… tot. Irgendwann ging der Boss auf Jagd und kam mit Croissants wieder, er hat da halt wieder mal bewiesen, warum er der Boss ist. Weil er die Herde ernähren kann! 1 Stunde vorm Boarding kam tatsächlich ein Mitarbeiter von TAP, der durch langsames Arbeiten und angepissten Blicken seine Motivation schön zur Schau gestellt hat. Und wieder mal dachten wir, das wäre das Ende und wieder mal hatten wir Unrecht.
Der Typ war eigentlich ganz nett und es gab noch genügend Plätze, überhaupt schienen die Hälfte der Leute nur auf Standby zu sein und überhaupt war alles kein Problem. Sehr schön. Und tatsächlich saßen wir kurze Zeit später im Flug nach Sao Paulo. Christian und Shitboy saßen direkt vor Bianca und mir. Und auch hier hat sich alles, was über TAP im Internet stand, als Lüge oder Übertreibung herausgestellt. Beine konnten wir ausstrecken, jeder hatte einen persönlichen Touchscreen mit Filmen, Spielen und Musik, Essen und Getränke waren wieder in Ordnung, diesmal gab es sogar Tomatensaft. Men in Black 3 gefiel der Band sehr gut, danach guckte die eine Hälfte Prometheus, die andere Brave. Shitboy besiegte mich gnadenlos in Schiffe versenken, wurde dann aber von Bianca in seine Grenzen verwiesen, ich kämpfte mich in Memory auf Platz 1 der TAP-Highscore vor und sowohl mein Sitznachbar, als auch Christian und ich hörten gleichzeitig Lana Del Ray während Bianca mit einer dauerschniefenden und heulenden Brasilianerin zu kämpfen hatte. 11 Stunden waren eigentlich schnell vorbei und als das Flugzeug zum Landen ansetzte, wurde ich sichtlich nervös. Langsam dämmerte mir, dass das hier eigentlich keine normale Tour ist. Das war die nächste Liga. Nur Christian war vor ein paar Jahren für einen Monat in Brasilien, für den Rest war das Land eher Abstrakt als Realität.
Die Landung war gut und ein paar Trottel klatschten. Am Gepäckband gab es ein paar kurze nervöse Momente. Gitarren und Becken kamen sofort, nur die zwei großen Koffer ließen etwas auf sich warten. Das Gepäck sah gut aus, die Folie war überall in Takt nur ein großer Koffer musste ganz schön leiden. Kurz vorher viel uns auf, das wir einen Schlafsack im Flugzeug liegen lassen haben. Das war scheiße und sorgte für Unmut. Vor allem musste die Schuldfrage geklärt werden, das war aber schwer möglich. Der Einfachheit halber einigten wir uns auf Shitboy. Am Ausgang begrüßte uns ein großes Empfangskomitee bestehend aus Questions und Crew und meiner guten Freundin/Mitbewohnerin Anne, die schon seit 3 Wochen fröhlich in Brasilien abhing. Das war es also. Brasilien. Ich wusste immer noch nicht was uns erwarten würde.
Wir luden unser Zeug in den Bandbus, ein dicker Sprinter mit 12 Sitzen, am Steuer der Stammfahrer von Questions. Ein paar Dinge sollten über ihn gesagt werden: Er ist alt und schrumpelig. Edu und Pablos Einschätzung: Er ist verrückt. Er trinkt gern (was ihm diesmal verboten wurde) und er fährt schnell. Nach den ersten 400km kann ich nur das erste bestätigen. Alt und schrumpelig ist er wirklich. Aber er ist ein tougher Motherfucker und Extrucker. Und als Trucker in Brasilien musst du wahrscheinlich verrückt sein um zu überleben. Er fährt vorsichtig, fährt wie eine Maschine auch wenn alle schlafen, hat immer ein Lächeln am Start, kurzum ich fühl mich wohl und penne ohne mir Sorgen zu machen. Gut, der Bus hat nur teilweise Sicherheitsgurte, aber das ist eine andere Geschichte.

Nach 30 Minuten auf fetten Freeways im Speckgürtel Sao Paulos, vorbei an riesigen Favelas, machen wir Pause an einer Raste. Das Teil war modern. Am Eingang bekam jeder eine Chipkarte ausgehändigt, man konnte sich an einem Buffet bedienen, was dann auf diese Karte gebucht wurde, und am Ausgang wurde gezahlt. Wir aßen Käseteigbällchen und Teigtaschen gefüllt mit Palmenzeugs. Alles sehr lecker. Nur die Limo war furchtbar süß. Ich habe mir einen inneren Vermerk gemacht diese in Zukunft zu meiden.
An dieser Stelle sollte auf einen zweiten großen Unterschied zu unseren üblichen Touren hingewiesen werden. Normalerweise ist Christian der Tourmanager/Fahrer unterstützt von Bianca und Shitboy während es meine Aufgabe ist Karten zu lesen, die Fahrer bei Laune zu halten und generell dafür zu sorgen, dass sie nicht im Sekundenschlaf den Transit auf russischen Highways auf die Gegenseite ziehen. Diesmal war alles anders Wir waren quasi als Rockstars unterwegs. Wir mussten nicht fahren, nichts organisieren, verdammt, wir konnten nichts organisieren! Das taten andere für uns und sie taten es gut. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich während der letzten Touren entspannt in der letzten Reihe saß, schlafen, lesen, schreiben, Pokemon spielen konnte.

Nach weiteren 40min erreichten wir Braganca Paulista, ein verschlafenes Städtchen im Brasilianischen Hinterland. Die Gegend war bergig grün. Mir fehlen hier etwas die Worte das Städtchen und die Landschaft zu beschreiben. Scheiße, es sah einfach nach Südamerika aus. Unser erstes Ziel war eine Musikschule betrieben von der Punkrocklegende Quike Brown. Dieser war 2007 mit seiner Band Leptospirose auf Europatour und in Deutschland zusammen mit unserem guten Kumpel und Hardcore Fahrerlegende Jaki aus Budapest in einen ziemlich schlimmen Autounfall verwickelt, der es sogar in die lokale Presse schaffte. Jetzt betrieb er wie gesagt die lokale Musikschule und war gleichzeitig Stadtratskandidat für die Grüne Partei Brasiliens. Nächsten Sonntag würde die Wahl sein. Wir hingen kurz in der Musikschule ab und begaben uns dann zur Venue. Diese war eine kleine Bar betrieben von einer netten Brasilianerin. Zufälligerweise war es der vorletzte Abend an dem die Bar überhaupt auf hatte. Die Besitzerin hatte schon, zusammen mit ihrem Partner, der wiederum ein berühmter Fußballspieler im Ruhestand war, einen neuen Club an der Angel in dem Judas Priest demnächst spielen. Abgefahren. Es zeichnete sich schon ab, dass der Abend sich hinziehen würde. Die Bands trafen alle relativ spät ein und auch das Publikum ließ lange auf sich warten. Freudig stellten wir nach Inspektion der Gepäckstücke fest, dass alles ganz war und nichts fehlte. Nur mein Sansamp funktionierte trotz Adapter nicht am Brasilianischen Stromnetz. Der fremde Sound und das fremde Equipment generell verunsicherte uns kurz, obwohl es eigentlich fett klang. Später wurden riesige Pizzen geliefert, belegt ausschließlich mit einer 2cm Schicht Käse.
Wir waren alle hundemüde. In Berlin war es inzwischen um 5 oder 6 und die Nacht in Lissabon war ja schlaftechnisch kein Höhepunkt. Irgendwann ging es mit der ersten Band Asima los und das war eigentlich ziemlich fett. Kennt jemand Wugazi? Wu-Tang über Fugazi gelegt? Und so klang das. Tight gespielt, gut gerappt und trotz meiner Müdigkeit schaute ich mir fast das komplette Set an. Danach betrat der Grünen-Kandidat plus Band die Bühne und auch da ging es gut ab. Man sieht Bands generell an wenn sie schon tausend Jahre existieren.

Ich muss sagen, dass ich kurz vor unserem Auftritt nicht sonderlich motiviert und einfach viel zu müde war. Das änderte sich schlagartig auf der Bühne. Da stürzte die Gewissheit auf mich ein, dass ich wirklich in Brasilien war, das wir es geschafft hatten, was wir uns seit ein paar Jahren erträumt haben. Diesmal war es wirklich ein langer Weg zurück nach Berlin.

Die Show war gut. Eine handvoll Leute gingen von Anfang an bis zum letzten Song gut ab und auch die im Hintergrund stehenden hatten ihren Spaß. Seit der letzten Tour im Oktober 2011 hatten wir es geschafft genau einen neuen Song zu schreiben, welcher an diesen Abend Weltpremiere feierte.
Eine Viertelstunde nach unserem Auftritt verfloss das Adrenalin und ich war wieder kurz vor dem Einschlafen. Questions spielten einb kurzes Set. Leider waren nicht mehr ganz so viele anwesend. Nach der Show packten wir zusammen und sahen voller Verzweiflung zu wie der Questions-Roadie den Bus einräumte. Christian blieb gelassen als er voller Verzweiflung dem Desaster zuschaute, aber diesmal war es nicht unsere Aufgabe. Der Plan war noch an diesem Abend nach Belo Horizonte aufzubrechen, da es knapp 600km waren, die Strecke aber sehr bergig und kurvig. Ich hatte Angst und sah Popeye schon schlafend gegen eine Palme brettern, andererseits war ich so müde, dass es mir egal war und ich mich meinem Schicksal fügen wollte. Popeye hatte ich den ganzen Abend nicht mehr gesehen, der pennte nämlich seit 6 Stunden im Bus und war bei Abfahrt topfit. Sein Gesicht war zwar immer noch geknautscht, aber er fuhr wie eine Maschine.

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Tag 3 – 29.09.2012 – Braganca Paulista – Belo Horizonte

Ich glaube wir sind alle sofort eingeschlafen. 500 Km lagen vor uns, ca. 8 Stunden Fahrt. Ich bin das erste Mal irgendwann zum Sonnenaufgang erwacht. Wir hielten an einer massiven Tanke und knallten uns süßen Kaffee rein und Butterbrötchen. Weiter ging es. Der 4-spurige Highway schlängelte sich durch bergige Landschaften. Felder mit riesigen Ameisenhügeln, Palmenwälder und kleine Ortschaften wechselten sich ab. Irgendwann gegen Mittag fuhren wir in Belo Horizonte ein. Belo Horizonte ist ungefähr so groß wie Berlin. In der Innenstadt sackten wir den Promoter der Show ein und fuhren direkt weiter.
Vitor der im Moment in Berlin wohnt und bei uns als Shitboy-Ersatz für 3 Shows im Einsatz war, kommt ursprünglich aus Belo Horizonte und seine Familie war bereit uns und Questions aufzunehmen. Wir parkten den Van in einer kleinen Straße vor einem eingezäunten Hochhaus und begaben uns in die 3. Etage vorbei am Pförtner. Dort befand sich nicht die Wohnung von Vitors Familie sondern eine Art Zwischenetage, nutzbar für alle Mieter inkl. Küche und Bad. Wir hatten nun ca. einen 200m² großen Raum mit Fenstern in alle Richtungen zu unser freien Verfügung. Die Mutter war schon fleißig am kochen und kredenzte uns ein reichhaltiges Buffet mit Salat, Reis, Linsen und Sojagehacktes. Wie bei jeder Tour waren wir konstant hungrig und nahmen das Angebot zum Essen dankbar an.

Vitors Mutter fragte uns eifrig nach ihrem Sohn aus und wir präsentierten ihr die jugendfreie Version seines Berlinaufenthalts. Vitors Schwester telefonierte die ganze Zeit aufgeregt und nach und nach tauchten immer mehr und immer jüngere Brasilianerinnen auf. Wir hatten noch etwas Zeit bis zur Show totzuschlagen wofür wir alle dankbar waren. Langsam wurde uns klar, dass wir nun wirklich in Brasilien waren, dass alles was wir kannten und als gegeben angesehen haben nochmal über den Haufen geworfen wurde, das hier war nicht Europa. Um drei sollte es zum Club gehen, halb sechs hieß es dann, bald würde es losgehen. Brasilian Style halt, aber dieses Jahr waren wir entspannt. Wir konnten nichts ändern. Dieses Jahr waren wir die Brasilianer.
Wir fuhren 30 min durch BH und kamen in eine Gegend, die uns vielleicht keine Angst machte, aber wir auf jeden Fall eine Menge Respekt vor hatten. Schlechte Straßen, ein-, zweistöckige unverputzte Gebäude, hustelnde Menschen auf der Straße, Busse die durch die Straßen heizten, keine Gegend in der man als Gringo allein unterwegs sein möchte. Die Sicherheitslage war für uns immer schwierig abzuschätzen. Wir versuchten vorsichtig zu sein, hielten uns nie allein auf und waren froh, dass genug von unseren Brasilianischen Freunden bei uns waren. Der Club sah halbfertig aus und wir begannen aus Sicherheitsgründen das Equipment auszuladen. Es dauerte auch nicht allzulange bis die erste Band spielte.
Die Müdigkeit und Jetlag konnten wir immer noch nicht komplett ablegen, ich zumindest kämpfte streckenweise damit wach zu bleiben und war froh, als wir anfangen konnten aufzubauen. Was soll ich zur Show groß sagen, falls wir eine Liste der best shows ever führen würden, wäre diese definitiv ganz oben mit dabei. Was dort von Anfang bis Ende passierte, war unglaublich. Schweiß floss in Massen, Körper bewegten sich durch den Raum von einem Ende zum anderen. Nach der Show fragten uns die Menschen nach Plektren, Drumsticks, Autogrammen, Fotos, den ganzen Rockstarscheiß halt, aber in unserer deutschen Höflichkeit haben wir ihnen natürlich nichts verwehrt. Soviel Freude, Enthusiasmus und Motivation habe ich lange nicht mehr auf einer Show gesehen. Nachdem die Welle abgeklungen war, kickte die Müdigkeit sofort wieder ein. Nachdem Questions durch waren, haben wir schnell gepackt und sind zurück zu Vitors Mutter gefahren. Von der Fahrt habe ich natürlich nichts mitbekommen, aber es gab vor Ort natürlich noch die Reste vom Mittagessen und mit Resten meine ich natürlich riesige Berge.

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Tag 4 – 30.09.2012 – Belo Horizonte – Rio de Janeiro

Die Abfahrt war relativ zeitig angesetzt, weil die Show in Rio nicht zu spät zu Ende sein sollte. Trotzdem frühstückten wir ausgiebig, dank Vitors Mutter, und packten unser Zeug. Irgendwie passierte nix, weil Edu, der Sänger von Questions verschollen war. Plötzlich tauchte er wieder auf und fuhr uns an, dass wir uns beeilen sollten. Wir nahmen das nicht ganz so ernst, weil Christian der einzige war, der sich einen Wecker gestellt hatte und wenn er dies nicht gemacht hätte, wir vermutlich jetzt noch da pennen würden. Die ganze Meute wurde also wieder in den Van gepackt und es ging ab Richtung Küste, ab nach Rio. 500 nochwas Km lagen vor uns. Die Landschaft wurde immer bergiger und auch tropischer. Es wurde warm und sonnig. Wir hielten ein paar Mal um Essen zu fassen und weiter gings. Irgendwann wurde es wieder urbaner und wir ahnten, Rio ist gleich um die Ecke.
Es war viel los auf den Straßen und es dauerte etwas bis wir die Location „Audio Rebel“ im Zentrum erreichten. Zentrum ist hier vielleicht übertrieben, da die Stadt wegen der Größe nicht nur ein Zentrum hat. „Audio Rebel“ war ein zweistöckiges Haus, eine Art Kulturzentrum mit Proberäumen, Schlafplätzen, Konzertraum und Galerie. Für uns hieß es nun erstmal abhängen, essen fassen, Facebook updaten, duschen usw. Auf einen Soundcheck haben wir dankbar verzichtet und nutzten die Zeit um nochmal kurz die Stadt auszuchecken. Begleiten sollte uns ein Kameramann von punknet TV, welche später auch noch ein kleines Interview durchführen wollten. Rio war schön, keine Frage, viele Touristen, viel Leben auf der Straße. Irgendwann haben wir unseren Pressebegleiter verloren, aber es musste auch ohne gehen. Dieser hatte ein Anruf bekommen, war kurz abgelenkt, aber wir waren zu schnell und er hatte den Anschluss verloren. Aus Angst mit seiner Kamera ausgeraubt zu werden, rannte er zurück zum Club. Beruhigend!

Ohne Zwischenfälle kamen wir zum Strand. Ich sag mal so, es war nicht der geilste Strand, nur ein kleiner Abschnitt, zugemüllt und die Heimat von ein paar Obdachlosen. Aber was soll der Geiz: Das war Rio! Perfekter Blick auf den Zuckerhut und den Jesus. Deswegen waren wir hier. Nach 130 Sekunden abhängen ging es zurück zum Club, auch wieder ohne Zwischenfälle, Schießereien und Entführungen, vorbei an der Stelle wo Michael Jackson „they don’t care about us‘ gedreht hat!
Es spielte bereits die erste Band als wir wieder zurück waren. Direkt im Anschluss spielten Norte Cartel, die Oldschoolband von Felipe, dem Sänger von Confronto. Der Konzertraum hatte dank Klimaanlage eine Temperatur von 12°C und ich hatte Angst, dass ich da mit Jacke rein musste. Ging aber auch ohne. Beim ersten Song hatte kaum jemand den Weg in den Konzertraum gefunden, aber nach und nach wurde es voller und die Menge verdichtete sich vor der Bühne. Am Ende war es eine richtig fette Show, unglaublich wie wir hier verwöhnt wurden. Einziger Wermutstropfen, mir ist bereits zum zweiten Mal in Folge eine scheiß Seite gerissen. In den 6 Jahren in denen ich in UAS spiele, sind mir 4 Saiten gerissen. Merseburg 2007 und Cluj Naboca 2011, ich weiß es noch, als wäre es gestern. Und jetzt? Zweimal hintereinander? Was soll der Scheiß???
Die Logistik nach der Show war recht kompliziert. Questions fuhren zurück nach Sao Paulo und wir pennten bei Felipe, etwas außerhalb von Rio, das Equipment und unser Zeug ging aber zu Dudu nach Petropolis. Dudu würde dann 2 Tage später mit unserem Zeug nach Cabo Frio fahren. Wir verteilten uns auf 2 Autos und rasten ohne Sicherheitsgurte durch Rio. Irgendwann wurden die Straßen schlechter, die Häuser kleiner und die Menschen und deren Aktivitäten fragwürdiger, zumindest in den Augen, der ängstlichen Weißen. Es war noch überraschend viel los auf der Straße. Felipes Haus war ein typisches einstöckiges Wohnhaus durch ein großes Tor von der Straße getrennt.
Uns erwartete noch ein reichhaltiges Essen zubereitet von Felipes Frau. Ganz im Gegenteil zu einer Diskussion über den angeblichen Wohlstandes des Confronto Sängers Felipe, lebt er und seine Frau ziemlich bescheiden. Ausgesprochene Idioten wussten mal von seinem Reichtum zu berichten. Deren Gesichter und vollgeschissene Hosen hätten wir gern gesehen beim Anblick seiner Nachbarschaft. Das Haus durfte nicht größer als 60m² gewesen sein und hatte immerhin 4 kleine Zimmer und ein verdammt kleines Bad. Es war fast unmöglich auf dem Klo zu sitzen ohne überall mit den Beinen anzustoßen. Felipe erzählte uns, dass er dass Haus selbst gebaut hat und im Moment an einer zweiten Etage arbeitet. Wir aßen gemütlich und gingen dann zufrieden in unser Zimmer, welches mit 4 Matratzen und unseren voluminösen Körpern auch schon voll war.

Weitere Bilder von der Show gibt es hier!

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Tag 5 – 01.10.2012 – Rio de Janeiro / Off-Day

Während es gestern Abend milde 15°C waren, erwachte ich in einem Ofen. Draußen ballerte die Sonne durchs Fenster. Wir frühstückten getoastete Brötchen mit Butter und Hummus und begleiteten anschließend Felipe durch seine Hood. Der kurze Spaziergang zur lokalen Kaufhalle überforderte unser Auffassungsvermögen und wir hatten ernsthafte Probleme klarzukommen. Das Viertel bestand aus kleinen Straßen mit kleinen Gebäuden links und rechts. Da die meisten Gebäude von ihren Besitzern selbst gebaut wurden, gab es so etwas wie eine einheitliche Architektur nicht. Geschäfte und Wohnhäuser mit kleinen Vorgärten wechselten sich ab. Wände waren besprüht und bemalt, überall war Leben. Menschen hingen ab, chillten vor Läden, Schüler kamen von der Schule, es wurde diskutiert und natürlich den Weißen hinterhergeschaut. Eine vollgemüllte, eingleisige Bahnstrecke zog sich quer durch das Viertel und dauernd fuhren Kleinwagen mit fetten Lautsprechern umher und warben mit umgeschriebenen Popsongs für ihre Kandidaten. Der kurze Trip hinterließ, glaube ich bei uns allen einen tiefen Eindruck. Das war das reale Leben in Südamerika.
Später ging es natürlich noch zu den 2 Hauptattraktionen Rios, der Christus Statue auf dem Berg und dem Traumstrand Copacabana. Das war natürlich alles so geil, wie es sich anhört, wenn auch extrem touristisch und damit quasi Kontrastprogramm zu unserem Spaziergang durch Felipes Nachbarschaft. Kulinarisches Highlight waren die Kokosnüsse am Strand. Erst wird die Spitze abgehackt und man trinkt die Milch mit Trinkhalm. Ist die dann leer, wird die Nuss mit einer Machete aufgehackt und man isst den Rest. Wir waren nach diesem Hammerprogramm dementsprechend erschöpft und waren froh wieder bei Felipe zu sein.

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Tag 6 – 02.10.2012 – Rio de Janeiro – Cabo Frio

Cabo Frio liegt ca. 150km östlich von Rio. Gegen 11, nach einem guten Frühstück, zwängten wir uns zu fünft in Felipes Fiat und fuhren gen Traumstrand. Highlight der Hinfahrt war definitiv der deutsche Kiosk, in dem mehr oder weniger deutsche Spezialitäten angeboten wurden. Vom meisten Scheiß dort hat ein normaler Deutscher natürlich noch nie gehört. Zumindest gab es eine feine Auswahl von Würstchen. Heimweh haben wir dadurch aber nicht bekommen. Eher im Gegenteil.
In Cabo Frio angekommen gings erstmal zu Matheo dem Promoter der Show, seine Mutter hatte ein fürstliches Mahl vorbereitet und wir konnten kaum glauben wie lecker das war. In 11 Jahren United And Strong kommt dieses Essen locker in die Top 5 unserer Touressensrangliste!
Da Cabo Frio einen der besten Strände Brasiliens, wenn nicht sogar der Welt, beherbergt mussten wir 4 Gringos natürlich in die Fluten. Durch den starken Wind und noch nicht so warme Wassertemperatur waren die Brasilianer noch etwas dem Baden abgeneigt, wir amüsierten uns aber prächtig in den Wellen und holten uns die erste rote Hautfärbung ein, damit nun auch jeder kapiert dass wir Deutsche sind! (Checkt das Crewphoto!)
Später machten wir uns zu Fuß auf den Weg zur Show und aßen noch eine bras. Fastfood Spezialität – Pastel De Queijo. Der Club, wenn man es so nennen kann, befand sich direkt am Strand und war äußerst unscheinbar sodass Felipe mehrmals nachfragen musste. Als wir ihn dann fanden, trauten wir unseren Augen kaum, eine Bar und ein Vordach direkt am Strand, mit Blick auf die Festung und den brechenden Wellen. Das Equipment trugen wir direkt durch Strandsand auf die „Bühne“. So stellt man sich doch eine Show in Brasilien vor. Vor uns spielten Naira, richtig guter Oldshool Hardcore und obwohl ich kein Wort verstand merkte man eine starke Message hinter der ganzen Show. Danach Felipes richtig geile Hardcore Band Norte Cartel.
Die Stimmung war top, für einen Dienstag war die Show richtig gut besucht und das obwohl wir wohl die erste Band sind die jemals an einem Dienstag in Cabo Frio auftraten. Da wir durch touren in Deutschland und Europa immer mit unserer eigenen Backline verwöhnt werden mussten wir uns auch diesmal wieder auf das einstellen was da war, das bereitete uns zu Anfang etwas Probleme, vor allem Bianca hatte zu kämpfen, auf einem hölzernen Klappstuhl und einem defekten Beckenständer. Aber die mega geile Stimmung, der Pit, der Applaus und die lachenden Brasilianer ließen uns diese Luxusprobleme schnell vergessen und die Show wurde mal wieder zu einer der besten Ever. Es ist echt bewegend wie sehr die Leute es zu schätzen wissen, dass wir nach Brasilien kommen um zu touren und uns so abfeiern als wären wir ne dicke Ami Band.

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Tag 7 – 03.10.2012 – Cabo Frio – Sao Paulo

Relativ zeitig wachten wir auf und merkten, das Haus brach zusammen. Den Abend davor mussten wir kollektiv die Bandscheiße mit Wasser aus Krügen runterspülen, weil in unserem Klo das Wasser abgestellt wurde. (oder niemals an war). In der 1. Etage gab es auch ein Klo, allerdings teilten sich alle Räume der oberen Etage eine Türklinke, welche immer abgezogen und je nach Bedarf wieder reingesteckt werden musste. Im Keller kam in einer Abstellkammer Wasser von der Decke. Wir verabschiedeten uns ohne Frühstück und stiegen ins Auto.
Ab ging es zu einem kleinen Touristenort ca. 20 Minuten von Cabo Frio entfernt. Die Sonne ballerte schon wieder fleißig. Wir parkten direkt am Hafen, gaben einem dubios aussehenden Menschen, der uns versprach auf das Auto aufzupassen ein paar Rias und schlenderten dann den Strand entlang auf der Suche nach einem Boot und einem willigen Kapitän. Natürlich fand sich einer der für 60 Rias uns einmal auf seinem Kahn durch die Bucht schippern würde. Wegen der Wellen konnte er uns nur die kleine Tour bieten, aber das war uns egal, ab gings. Die Wellen waren wirklich hoch und wir wurden auf den kleinen Boot ganz schön hin und her geschaukelt. Nach 20 Minuten kamen wir an einen Strand der nur zu Fuß oder Boot erreichbar und dementsprechend romantisch war. Shitboy und Christian sprangen spontan ins Wasser und auch Biancas Lebenswunsch einen echten Pinguin zu sehen, ging in Erfüllung.
Nach dem Anlegen erhöhte der Kapitän erstmal den Preis wegen der ganzen Extrawünsche, was uns aber ziemlich egal war und wir es schon irgendwie vermutet haben. Wir quetschten uns wieder ins Auto und begannen die Rückfahrt nach Rio. Bis jetzt hatten wir noch nichts gegessen und machten deshalb Halt an einem Restaurant am Freeway. Wenn ich hier von Restaurant spreche, dann nicht innerhalb der gewohnten Maßstäbe. Man bekam einen Teller in die Hand gedrückt und durfte sich an einem Buffet bedienen. Das Buffet bot wirklich alles und wenn ich hier alles schreibe, meine ich auch alles: Auflauf, Kartoffeln zubereitet in jeder Art und Weise, Gemüse, Soßen, Salate, Süßkram und sogar eine große Auswahl an Sushi. Später wurde der Teller gewogen und man bezahlte am Ausgang. 850g konnte ich auffahren. Billig war das ganze nicht besonders. Man lag bei einem gut gefüllten Teller plus Getränk bei ca. 8 Euro, also alles im Rahmen.
Inzwischen waren wir alle ziemlich geplättet und nach 2 Stunden fahrt waren wir froh wieder in Rio zu sein. Wir hingen noch etwas bei Felipe ab und fuhren dann mit ihm zu einem Einkaufszentrum um für Bianca ein paar Buttermesser zu kaufen. Die ganze Meute, Felipe, seine Frau, sein Kumpel plus seine 2 Kinder und die Band klapperten also jedes Geschäft nach diesen Buttermessern ab. Klar haben wir die dann bekommen. Im Anschluss ging es dann mit unserem gesamten Equipment verstaut in 2 Kleinwagen zum Busbahnhof. Felipe kaufte die Tickets und wir hatten bis zum Schluss Zweifel an der Art der Tickets, die er für uns kaufte. Er nahm für unseren Geschmack alles zu sehr auf die leichte Schulter und kommentierte unsere besorgten Nachfragen mit „Alles wird gut“. Er sollte Recht behalten, vielleicht waren wir nur zu nervös. Mit dem Reisebus von Rio nach Sao Paulo zu fahren, macht man halt nicht jeden Tag.

Der Bus war sehr modern und nicht besonders voll. Unser Equipment, Gitarren, Becken, Merch, etc. wurde sicher verstaut, wir verabschiedeten uns herzlich bei Felipe, bedankten uns für seine Gastfreundschaft und seinen Einsatz diese drei Tage für uns unvergesslich zu machen und ab ging es. Das Bussystem in Brasilien ist dem europäischen ein paar Jahre voraus. Die Busse waren total bequem, man konnte die Sitze fast zu einem Bett nach hinten klappen und Dank unserer Schlafsäcke blieben wir schön warm. Die 5 Stunden vergingen viel zu schnell, da wir alle durchgeschlafen haben, und als wir in Sao Paulo ankamen, waren wir zerknirscht und wünschten uns, der Bus würde noch ein paar Runden drehen.

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Tag 8 – 04.10.2012 – Sao Caetano do Sul

Wir kauften uns am Busbahnhof ein kleines Frühstück und stürtzten uns dann in den Morgenverkehr von Sao Paulo. Wir mussten uns allein zu Pablo (Questions) durchstruggeln. Vollgepackt stiegen wir in die U-Bahn, stiegen um und stiegen aus. Die Bahnen waren voll und die ganze Aktion war eher nervig, aber es ging nun mal nicht anders. Am Endbahnhof erwartete uns Pablo im Halbschlaf. Er hatte uns etwas früher erwartet und holte nun etwas Schlaf nach. Wir stiegen ins Auto und fuhren die kurze Strecke zu ihm nach Hause. In Sao Paulo heißt „kurz“ 30-40min Fahrt. Die Stadt ist massiv und der Verkehr nervtötend, überall herrschte Stau, jeder fuhr wie er will. Angekommen in Pablos Haus ging es sofort wieder los um Frühstück für uns zu kaufen. Da es noch zu zeitig war, hatten die meisten Supermärkte noch nicht auf und wir fuhren nur „kurz“ zu einem 24h-Supermarkt. Bei Pablo aßen wir dann kopfgroße Avocados, Brötchen und Käse. Wir bezogen unsere neue 1-Zimmer Wohnung und legten uns nochmal für ein paar Stunden hin.
Sao Caetano do Sul war ein Stadtteil von Sao Paolo ca. 40min Autofahrt einmal quer durch die City. Die 40min galten natürlich nur unter optimalen Bedingen wie in der Nacht oder nach der Apokalypse und so brauchten wir gut 3 Stunden. Irgendwann, also Pablo wieder mal versuchte einen Stau zu umfahren, machte er eine Vollbremsung und murmelte „Shit Favela“. Vor uns lag ein dunkles Viertel auf deren Straßen die Kids Fußball spielen. Wir machten eine 180° Wendung und umfuhren das Krisengebiet. Wenn Pablo davor schon Angst hatte, dann wollte ich da auch nicht rein. Später an einer Kreuzung kam ein komischer Typ auf uns zu und laberte Pablo an. Irgendwann wurde es grün und Pablo düste davon. Später erzählte er uns, dass er einen Überfall vermutet hat, der Typ aber wahrscheinlich nur ein Crackhead war…
Nach diesen aufbauenden Erlebnissen erreichten wir unseren Zielort, der wiederum relativ beschaulich und sicher wirkte. Vor allem war auch kaum was los um diese Uhrzeit. Der Club war nicht allzugroß und wir luden aus. Highlights waren unter anderem der Typ im „Bitter Verses“-Shirt der vor langer Zeit den ersten Questions-Fanclub gegründet hat und der Besitzer des Clubs. Ein alter, kleiner Jude mit Davidstern um den Hals, der nach Eigenaussage die reichen Juden in der Innenstadt Sao Paulos hasst und mich fragte, warum ich nichts zu Rauchen aus Deutschland mitgebracht habe. Gute Frage. Shitboy, Pablo, Christian und ich zogen kurz nach dem Start der ersten Band nochmal los um was zu Essen zu finden. In einer kleinen Bude aßen wir teure Sandwichs und tranken Guarana, unser Stammgetränk. Der Typ, der die Sandwichs machte, war Fan der amerikanischen Kultur. Standard hier war, dass uns erstmal alle für Amis hielten aber dann trotzdem nicht enttäuscht waren, wenn wir nur Deutsche waren.
Wir spielten die Show vor nicht besonders vielen Leuten, was aber auch nicht schlimm war, weil einige trotzdem gut abgingen. Nach der Show kam es zum bereits üblichen Händeschütteln, Umarmen und Fotos machen, ein paar Freaks versuchten Merch gegen Artwork(!!!) oder gleich kostenlos zu bekommen, wir packten ein und fuhren die komplette Strecke in wirklich 40 Minuten. Inzwischen war das schlafende Viertel zum Leben erweckt und viele Menschen waren auf der Straße und feierten irgendwas. Wir luden am Questions-Proberaum alles aus, fuhren zu Pablo und pennten erstmal.

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Tag 9 – 05.10.2012 – Piracicaba

Heute sollte es das erste Mal richtig nach Sao Paulo rein gehen. Wir frühstückten ausgiebig und fuhren dann mit Pablo erstmal zu seinem Büro. Dort trafen wir Cadu, Pablos Kollege, der fleißig dabei war Deutsch zu lernen für seine Schweizer Freundin. Er sprach ein lustiges Englisch und ersetzte konsequent jedes Wort, was er in Deutsch kannte mit dem Deutschen Wort. Wir folgten Pablo weiter durch das „Friedrichshain“ Sao Paulos, vorbei an Galerien, Läden, eine komplette Straße voller Musikgeschäfte bis wir wieder in einem KG-Restaurant landeten. Gut gesättigt nahmen wir den Bus ins Zentrum. Das Bussystem war ganz witzig, man steigt ein, zahlt bei einem Pförtner einen Standardbetrag, geht durch ein Drehkreuz in den Sitzbereich und fährt bis zu seinem Ziel. Natürlich sollte man sich während der gesamten Fahrt festhalten, da natürlich wieder alle wie Sau fahren.
Im Zentrum machten wir einen kurzen Abstecher zur Galeria Do Rock, einem Kaufhaus mit Tattoo-Shops Plattenläden, T-Shirt-, Skater- und Schuhläden (das meiste gefälschte Marken und Bandshirts) auf 5 Etagen. Zum Shoppen hatten wir nicht so richtig Zeit und verschoben es auf nächsten Montag. Wir tranken in einem kleinen Laden richtige Mate mit Saft und die netten Mitarbeiter gaben den Gringos sogar noch ein paar andere Sachen zum kosten. Das war nett! Pablo erzählte uns, dass das in seiner Kindheit die Standardsamstage waren: Shoppen in der Galeria und danach schön Mate saufen.
Irgendwann waren wir zurück am Questions Proberaum und trafen den Rest von Questions und deren uns gut bekannten Fahrer Popeye. Inzwischen war es 20Uhr und wir hatten die komplette Strecke noch vor uns. Wir ahnten schon, dass es eine lange Nacht werden würde. Piracicaba lag außerhalb von Sao Paulo und diesmal kamen wir ganz gut voran. Trotzdem dauerte die Fahrt über 2 Stunden. Als wir in der Benjamin Rockbar ankamen, war die erste Band gerade dabei aufzubauen. Heute waren wir Headliner. Wir hatten ernsthafte Zweifel, ob zu der Zeit zu der wir spielen sollten überhaupt noch Leute da waren. Das Publikum war extrem jung, aber die Stimmung war recht ausgelassen. Die ersten beiden Bands waren lokale vegan/sxe-Bands, die von ihren Homies ganz gut abgefeiert wurden. Der ganze Quatsch wie vor der Bühne spielen, am Mikro vorbei singen usw. kam bei uns nur mittelgut an, aber egal. Bei Questions gab es irgendwie Stress auf der Bühne, Edu, der Sänger, war nicht so gut drauf und versuchte mit Handzeichen den anderen irgendwas zu signalisieren.
Da wir wieder über Questions Backline spielten, konnten wir schnell aufbauen. Christian war schon wieder etwas frustriert wegen der brasilianischen Kabeltechnik aber irgendwann ging es los und man musste sagen, dass noch alle am Start waren und beim Intro sich die ersten schon bewegten. Inzwischen war es halb 2. Bei Hassad gab es einen kleinen Zwischenfall. Irgendein Vollidiot trat willkürlich in Menschen rein und klatschte dann mit seinen Homies ab. Ich spiele ohne Brille und sehe sowas natürlich nicht, aber Christian unterbrach die Show und machte eine Ansage. Danach war etwas die Luft raus und die gute Stimmung kam nicht richtig zurück. Ich hatte das Gefühl, dass uns alle hassten, aber dem war wohl nicht so, wie Questions uns bestätigten. Die Unterbrechung wurde von den meisten als gut und notwendig eingeschätzt. Keine Ahnung wie spät es inzwischen war, aber wir schliefen alle sofort ein im Auto und wachten erst wieder auf, als wir am Proberaum ankamen. Inzwischen war es hell. Wir aßen noch ein Dessert was Pablo vor der Show zubereitet hatte, es war brutal süß und bestand aus Kondensmilch und Kakao. Danach gings ab ins Bett!

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Tag 10 – 06.10.2012 – Sao Paulo Casa Do Metal

Christian, Bianca und ich begannen den Tag erstmal schön mit Essen kaufen. Wir suchten die Kaufhalle mit den „vielen Früchten“ und kauften teuren Käse und anderen Scheiß. Das anschließende Frühstück fiel auch dementsprechend prächtig aus. Inzwischen war es auch schon ziemlich spät, da wir wegen der späten Rückkehrzeit am Vorabend auch viel Schlaf brauchten. Die erste Hälfte des Tages verlief unspektakulär, wir hingen bei Pablo ab, kochten irgendwann mal Nudeln und hingen weiter ab. Am frühen Abend ging es Richtung Casa do Metal, dem Proberaum von Questions. Eigentlich war es ein kleines Haus mit Küche, Wohnzimmer und Klo und einem kleinen Extragebäude in dem der Proberaum war und die Luftfeuchtigkeit 100% betrug. Pablo bewohnte das ganze bisvor kurzen und das ganze glich eher einem besetzten Haus. Als wir ankamen, standen schon ein paar Leute davor, Leute die uns 50 Mal gefragt haben ob wir Deutsche sind und ob wir Fleisch und sXe sind. Darauf hatten wir natürlich richtig Bock und fuhren mit Pablo zum Einkaufszentrum um Getränke und Klopapier zu kaufen. Samstagabend war eine Menge los und gefühlt jeder Einwohner Sao Paulos hing in dem Supermarkt ab.
Wir warteten über 30 Minuten in der Schlange. Spätestens jetzt hatten wir jede Motivation verloren und wollten uns in unsere Schlafsäcke verkriechen. Aber es sollte anders kommen. Als wir zurück im Casa do Metal waren, spielte bereits die erste Band. Das Equipment stand nicht im Proberaum sondern auf dem kleinen Hof, also Open Air. Obwohl es höllisch laut war, schien es die Nachbarn nicht zu stören. Der Grill wurde angeschmissen, Biere kalt gestellt und wir fingen an zu spielen. Die Show war gut, so gut sogar, dass wir richtig gute Laune bekamen und den Stress von vorher vergaßen. Shitboy und ich mobbten Christian auf der Bühne, der wiederum das Publikum gut bei Laune hielt, das spontane Spielen eines alten Songs ging komplett in die Hose und wir spielten eigentlich fast alles was wir konnten. Und das ist auch nicht viel. Danach mischten wir uns unter die Gäste, aßen, tranken und quatschen, soweit wie möglich halt, machten Fotos, wie richtige Rockstars halt, nur ohne Koks, Nutten und Rockstars.
Zum Thema Rockstars: An dem Abend spielten Agnostic Front und H2O in Sao Paulo und Joe, der Gitarrist von Agnostic Front wurde als Gast noch erwartet. Das war uns natürlich egal und als sich eine Gelegenheit bot, nutzten wir diese natürlich und fuhren nach Hause. Und wenn ich jetzt erzähle, dass Joe sich extra nach der „German band“ erkundigt hat und sie gerne spielen gesehen hätte, glaubt mir das eh keiner, aber es ist nunmal die Wahrheit. Aber als das alles passierte, haben wir schon längst gemütlich geschlafen. Bei unseren Touren davor spielte Schlafen ja eher eine untergeordnete Rolle. Wenn ich an die letzte Tour denke, mit einer Durchschnittsschlafzeit von ca. 5h (und da war der Off-Day schon mit reingerechnet), bekamen wir hier genügend aber irgendwie war ich trotzdem die ganze Zeit Müde. (Flo)

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Tag 11 – 07.10.2012 – Sao Paulo S.P.H.C. Fest

Relativ zeitig waren wir wieder am Casa do Metal und guckten uns das an, was die Party hinterlassen hat: Ein relativ aufgeräumten Proberaum und ein paar Müllsäcke. Da war also gestern noch jemand fleißig und hat aufgeräumt. Eine halbe Stunde später kam der Rest von Questions und Popeye der Fahrer war sichtlich zerstört und übermüdet. Wir packten ein und machten uns auf den „kurzen“ Weg zum Inferno-Club. Pablo musste fahren, weil Popeye zu müde war. Er hatte den Abend davor eine Band nach Rio gefahren und war quasi direkt von Rio ohne Schlaf zum Casa Do Metal nach Sao Paulo gefahren. Zwischendurch schmissen wir Edu raus, damit er wählen gehen konnte obwohl wir schon über 1 Stunde zu spät waren.
Zur Wahl zu gehen ist in Brasilien Pflicht!. Überall pilgerten Brasilianer mit Familie in die Wahllokale und zurück, die Stimmung auf der Straße war ziemlich ausgelassen und entspannt. Pablo erzählte mir, dass an Wahlsonntagen der Alkoholausschank verboten ist, damit es nicht zu Unruhen kommt, allerdings hielten sich nicht alle, bzw. vielleicht auch gar keiner an dieses Gesetz.
Der Inferno-Club wo Questions regelmäßiges S.P.H.C. Fest stattfand war ungefähr so groß, wie das SO36. Gott sei Dank machten Questions den Soundcheck. Der Sound war ungefähr das Schlechteste, was ich auf der ganzen Tour gehört habe. In letzter Minute ging Pablos Amp kaputt und er musste mit einem Ding spielen, was da rumstand. Soundtechnisch haben wir also alle schon Häckchen hinter diesen Abend gesetzt und gingen nun das nächste Problem an: Essen. Wir fanden eine teure Pizzeria ein paar Ecken weiter und aus Mangel an Motivation weiter zu suchen und mangelnder Sprachkenntnisse bestellten wir 4 Pizzen. Der Kellner weigerte sich vehement 4 Pizzen aufzuschreiben und zeigte immer auf den Preis, traute er uns nicht zu, dass wir das Bezahlen könnten? Oder waren die Pizzen so groß, dass wir sie nicht schaffen würden?
Christian warnte uns auch davor und schlug 2 Pizzen vor aber wir waren so hungrig dass wir auf 1 Pizza pro Person bestanden. Zähneknirschend bestellten wir dann drei Pizzen und warteten. Irgendwann kam er dann mit einer riesen Pizza unter einer Glocke. Jetzt war uns klar, was er meinte: Die Pizza war zwar nicht besonders groß, aber war ausschließlich mit Käse belegt, wenn man die 2 Oliven jetzt mal auslässt. Nur Käse, ca. 1 cm dick. Wir schafften mit Brechen und Würgen 2,5 Pizzen. In meinem Stolz zwängte ich mir so viel wie möglich rein nur um dem Kellner zu beweisen, dass wir es doch schaffen würden. Den Rest nahmen wir Pablo mit, der es inzwischen geschafft hat, genau so einen Amp wie er hat in der Stadt aufzutreiben. Wir schlenderten zurück zum Inferno, bauten Merch auf und guckten uns die Bands an. Die meisten Brasilianischen Bands waren ziemlich gut und ziemlich tight, obwohl das Equipment oft mangelhaft bis scheiße war. Wenn ich an Zuhause denke, wo die Schülerbands mit ihren fetten Mesas ihre Songs runterkrüppeln, freu ich mich gleich wieder ins Flugzeug zu steigen.
Wir waren Headliner, vor uns sollten Questions spielen. Vor Questions gaben noch ein paar Straight Edge Rapper ein paar Songs zum Besten. Als Questions dann spielten, war der Sound nicht mehr ganz so scheiße. Das Inferno war inzwischen gut gefüllt und Questions wurden gebührend abgefeiert. Ob wir nun noch gerechtfertigte Headliner ware musste sich nun rausstellen. Wir spielten glaube ich ein gutes Sett, mir ist keine Saite gerissen, wovor ich panische Angst hatte, 2 Leute haben sogar richtig viel mitgesungen und jeder Moshpart wurde mit harten Moves gewürdigt. Am Merch gings danach rund und wir wurden von den anderen Bands reich beschenkt mit CDs und T-Shirts, was fast bei jeder Show passierte und wir immer versuchten höflich abzuwenden aber unmöglich. Wir haben danach mit allen Anwesenden viele Fotos gemacht und gequatscht. Ein guter Abschluss für die Hauptshow der Tour.
Es war noch nicht mal Mitternacht als wir zurück fuhren. Es ging über jede rote Ampel, die wir finden konnten, was übrigens seit Neustem gesetzlich erlaubt ist, um Überfälle und Autoentführungen an Straßenkreuzungen vorzubeugen. Jetzt wisst ihrs!

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Tag 12 & Tag 13 – 08.10. & 09.10.2012 – Off-Days

Wir wollen euch nicht zu sehr mit unserem Off-Day Gelaber belasten und da die Tage mehr unter Kategorie Urlaub fallen, hier nur die kurze Zusammenfassung. Wir fuhren ins Strandhaus der Eltern von Pablos Freundin ein paar Stunden entfernt von Sao Paulo. Es war gut dem Moloch endlich mal zu entfliehen und wieder etwas Natur zu sehen. Dort verbrachten wir einen klassischen Tag am Strand bei 30°C Sonne und perfekten Wellen mit Kokosnüssen in der Hand auf unseren Liegestühlen samt Sonnenzelt.
Da Pablos Freundin zu uns stieß waren wir einer zu viel für die Rückfahrt im Auto also mussten wir 2 dumme aus unseren Reihen finden die den Heimweg nach Sao Paulo mit dem Bus antreten würden. Die Wahl fiel auf mich und Shitboy. Unser Bus kam mit einer Stunde Verspätung und als wir in Sao Paulo eintrafen war es fast zu spät um mit der Metro zum bekannten Treffpunkt, der Station in Pablos Stadtteil, zu fahren. Gerade so schafften wir die letzte Bahn, die uns 3 Stationen brachte wo wir dann umsteigen mussten.
Leider war es nun zu spät und der U-Bahnhof wurde dicht gemacht und wir wurden von Sicherheitskräften mit „Saida“ (Ausgang) – Rufen raus gescheucht. Da blieb keine Zeit einen belebten Ausgang zu finden wo wir uns sicher fühlen konnten. Oben angekommen riefen wir Pablo an. Und teilten ihn mit wo wir steckten. Er antworte ziemlich trocken dass dies nicht der beste Orte wäre um Nachts halb eins zu warten. Nunja, was sollten wir machen, er machte sich so schnell wie möglich auf die Socken und wir teilten ihm per SMS den Straßennamen mit, worauf er noch trockener antwortete wir sollen nicht mit Fremden reden. Da standen wir nun und versuchten so unauffällig es ging zu warten und die Ruhe zu bewahren, denn um uns waren eigentlich kaum besonders Vertrauens erweckende Leute. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Pablo und wir stiegen unversehrt ein. Er erzählte uns dass diese Gegend Teil des „Cracklandes“ ist was sich nun über das ganze Stadtzentrum erstreckt nachdem die Polizei den Haupttreffpunkt der Crackheads räumte wo quasi 24/7 Crack geraucht und gedealt wurde. Rückblickend war dies die einzige brenzlige Situation dieser Tour.

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Tag 14 – 10.10.2012 – Jardim Angela Sao Paulo

Zugegeben, ich hatte im Vorfeld immer Schiss vor dem heutigen Tag. Jardim Angela war eine Favela, nicht nur irgendeine Favela, es war eine der Größten am Rand von Sao Paulo und vor allem war es vor ein paar Jahren der Ort mit den meisten Kapitalverbrechen (ja, wir reden hier von Mord) pro Einwohner, es war also eine Zeitlang der gefährlichste Ort der Erde, Kriegsgebiete mit eingeschlossen. Genau dort sollte unser Konzert stattfinden. Es hatte sich einiges getan seitdem. NGOs und Vereine haben es geschafft, die Mordrate auf ein niedrigeres Level zu drücken. Organisiert hat das alles Edinho, der „Roadie“ von Questions und vermutlich einer der nettesten Menschen der Erde. Er ist selbst Bewohner Jardim Angelas. Zusammen mit seiner Freundin und dessen Sohn holten sie uns am Casa do Metal ab. In seinen Kleinwagen und in Pablos Kombi pressten wir die komplette ‚Backline. Der Sohn von Edinhos Freundin verbrachte die 2 Stunden Fahrt auf so engem Raum, dass wir uns echte Sorgen machten, ob er das überleben würde.
Die Fahrt war wieder typisch Sao Paulo. Überall Stau und Staub. Es ging kaum voran und ich dachte irgendwie wir kommen nie an. Irgendwann wurden die Häuser einfacher, die Straßen schlechter und wir waren plötzlich mitten in Jardim Angela, zumindest im besseren Teil. Die kleinen Straßen waren ziemlich leer und es interessierte sich keiner für uns. Die Menschen gingen ihren alltäglichen Arbeiten nach und wir packten unsere Backline in eine Garage, in der wir auch spielen würden. Danach ging es weiter in den nicht so guten Teil und das war dann doch ziemlich krass. Ich glaube nicht, das ich bis jetzt jemals mit so einer krassen Armut konfrontiert wurde und sogar Pablo hat zugegeben, dass er nicht wusste, dass so etwas noch in Brasilien existiert. Straßen wurden zu Sandwegen, Häuser zu Hütten und das auf einer riesigen Fläche. Mitten im Chaos schauten wir uns eine Hilfseinrichtung für Kinder an. Arco hieß das und war eine Schweizer Initiative um Kindern und Jugendlichen aus schweren Verhältnissen (innerhalb dieser schon extrem schweren Verhältnissen) etwas Hilfe zu geben. Claudia, die freiwillige Helferin aus der Schweiz, führte uns etwas rum und zeigte uns die eigentlich paradiesische Anlage. Leider konnten natürlich nur immer ein Teil der Kinder aufgenommen werden, aber die Mitarbeiter waren alle sehr motiviert, die Stimmung wirklich gut. Die ganze Sache schien ein wirklich sinnvolles Projekt zu sein, welches die Gegend dort sehr nötig hatte.
Im Anschluss ging es direkt zurück in die Garage, quer durch die Favela. Wir bauten gemütlich auf, Edinho kam mit großen Beuteln voller Essen und Getränke für uns zurück und wir genossen ein paar Snacks auf der Straße. Den ganzen Tag war es drückend heiß gewesen, jetzt lehnten wir bereits an den Mauern und saugten deren Restwärme auf. Die Stimmung war ziemlich entspannt und eigentlich genau das Gegenteil von dem was wir erwartet haben. Lustig war auch das Klo, welches in eine Ecke der Garage verbaut war und eine Grundfläche von einem halben Quadratmeter bot, aber den Hauptlichtschalter beherbergte. Jeder der also auf Klo ging und den Lichtschalter suchte, drückte erstmal auf den einzigen den er finden konnte und schaltete damit das Licht im gesamten Raum aus was wiederum für großes Gelächter und Empörungsschreie sorgte.
Die Show war keine Show im ursprünglichen Sinne sondern vielmehr eine Mischung aus Songs und Gesprächsrunde. Zwischen den Songs erzählten wir etwas über Hardcore, Hardcore in Europa und unsere Songs. Die Stimmung war wirklich gut, die Leute hatten Spaß und lachten über unsere Geschichten, die Pablo mit Geduld übersetzte.

Die Garage gehörte der Mutter von Bola, welcher zusammen mit seinem Kumpel Macarrao seit über 10 Jahren Jugendarbeit im Krisengebiet leistet. Er erzählte uns nach der Show etwas von den Anfängen, wo du dir nur Respekt mit Waffen und Drogenhandel verdienen konntest und sie aber genau das Gegenteil gemacht haben, Hiphop-Shows ohne Waffen und anderen Scheiß und sich so langsam den Respekt in ihrem Viertel verdient haben. Inzwischen veranstalten sie riesige Hiphop-Events und sind auf jeden Fall einer der Gründe für die positive Entwicklung Jardim Angelas.
Vorher zeigte Bola uns noch seine DJ-Skills mit einem feinen Remix der „Coma-City“-7″ Wir hingen noch etwas ab, redeten mit den Leuten, genossen die gute Stimmung und auch das Gefühl, so etwas einfach mal durchgezogen zu haben. Kurz vor der Abfahrt machte Macarrao und Bola ein kleines Interview mit uns, indem sie uns viel Respekt aussprachen dass wir gekommen sind, wir unser Respekt für ihr Projekt aussprachen und davon berichteten wie wir uns den Tag fühlten. Das war alles irgendwie sehr bewegend. Danach packten wir unseren Kram und düsten wieder stundenlang durch die Stadt zum Casa do Metal.

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Tag 15 – 11.10.2012 – Sao Paulo Cerveja Azul

Die Stimmung am Morgen war ziemlich scheiße. Wir alle waren demotiviert und hatten scheiß Laune. Der Lagerkoller weckte die schlimmsten Seiten in uns und wir waren froh, als es losging. Und zwar mit Pablo in die Innenstadt zum vegetarischen „All you can eat“-Buffet „Vegacy“. Mein Magen war die letzten Tage schon etwas instabil und der Stuhlgang eher flüssig, aber ich schlug mich wacker und aß auch dort wieder tausende Teller, weil das Zeug nunmal total lecker war. Die Temperatur war über Nacht von 33 auf 16°C Regen gefallen. Nach einem kurzen Souvenirshoppingtrip ging es wieder zurück und wir pennten wieder mal ein paar Stunden bis es zum Proberaum ging. Inzwischen war das allabendliche Einladen im Casa do Metal Routine geworden. Die Show war im italienischen Part von Sao Paulo, Nettofahrzeit 30 Minuten. Wir brauchten natürlich 2 Stunden, denn die Stadt war dicht. Sie war ja immer dicht, immer, aber morgen war auch noch ein Feiertag, weshalb die Stadt eigentlich nicht mehr funktionstüchtig war. Da wir erst um 9 losfuhren, ahnten wir, dass es ein langer Abend werden würde.
Der Club war eine Bar mit Konzert-Hinterzimmer. Drei Bands sollten vor uns spielen, von denen aber noch keine da war. Die erste Band brauchte aber von dem Moment wo sie die Bar betraten bis zum Beginn des ersten Songs nicht mehr als 10 Minuten. Respekt dafür! Inzwischen war mein Magen ein Kriegsgebiet und als uns ein Tablett mit frittiertem Käse serviert wurde, dachte ich, die wollen mich zerstören. Nach 2,5 dieser Dinger ging es mir aber tatsächlich wieder gut. Die waren so fettig, dass die Papiertaschen in denen sie serviert wurden komplett in Öl getränkt waren. Christian hat inzwischen Bekanntschaft mit den Herren vom Stammtisch gemacht und erklärte ihnen geduldig die Bedeutung unserer Shirts.
Wir guckten abwechselnd die Bands im Hinterraum und Foo Fighters Live DVD im Vorderraum. Im Laufe der Nacht füllte sich der Club und als Bayside Kings spielten, die letzte Band vor uns, war es hinten gut gefüllt. Bayside Kings war der Shit, ultra tight, gute Songs, gute Stimmung.
Bianca hat den Wetterwechsel nicht ganz so gut überstanden und kämpfte mit einer Erkältung, weshalb sie den Abend vor sich dahinvegetiere. Unsere Show wurde natürlich trotzdem gut. Das muss man ihr lassen, so sehr sie davor und danach gelitten hat, während der Show hat man ihr nichts angemerkt. Die Show war hart, vielleicht wieder zu hart für uns. Während des Endes von Blacklist gab es irgendeine Rangelei in der Menge, wir stoppten diesmal nicht, weil wir eh am Ende vom Moshpart und damit auch vom Song angekommen waren. Es beruhigte sich schnell wieder und wir spielten einen ruhigen Song damit alle wieder gute Laune bekommen. Ist natürlich totaler Schwachsinn! Wir ballerten den nächsten stumpfen Song hinterher, denn die Leute schnallten schnell, dass jetzt fair getanzt wird. (Und so wie es uns im Nachhinein erzählt wurde, war das Ganze auch ein Missverständnis) Nach der Show das übliche Händeschütteln und Fotos machen mit sehr netten Menschen. Inzwischen spielte im Vorderraum der Kneipe eine Coverband bestehend aus diversen älteren Herren. Während ich am Merch stand, beobachtete ich das Treiben vor der kleinen Bühne und war sichtlich fasziniert. Drei junge Damen in knappen Kleidern und bunten, krebserregenden Drinks posierten vor der Bühne, schossen Fotos von sich im klassischen Duckface-Style und auch vom Bassisten. Und ich rede nicht von einem oder zwei Fotos sondern mindestens 4 GB voller Fotos. Dazu muss gesagt werden, dass der Bassist wirklich kein schöner Mann war, ich mein, mir ist egal, wie er aussah, aber warum die Girls Millionen Fotos von ihm schossen, ist mir bis jetzt ein Rätsel geblieben. Zwischendurch setzte sich das eine Mädchen auf den Schoß des anderen und es wurde eine Menge Spucke ausgetauscht, was wiederum dazu führte, dass Mädchen Nummer 3 demonstrativ angepisst und die anderen ignorierend auf die Bühne starrte. Wo war ich hier gelandet? Kurze Zeit später ging es auch nach Hause zu Pablo. Plötzlich waren die Straßen leer und nach 45 Minuten lag ich geduscht im Bett.

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Tag 16 – 12.10.2012 – Campinas

Inzwischen sitze ich wieder in Berlin in meinem Zimmer und starre auf die kalte und verregnete Prenzlauer Allee. Der dritte Arbeitstag liegt hinter mir und ich hatte bis jetzt noch keine Zeit mal meine Sachen auszupacken. Gerade habe ich das Tagebuch gelesen und die ganze Sache wirkt schon wieder so weit weg. Trotzdem muss ich das hier mal zu Ende bringen, bevor die Erinnerung verschwindet.
Also Tag 15, letzter Tag, letzte Show, Ende der Tour. Wieder war die Stimmung mittelmäßig, wir waren fertig, am Ende. Die ganzen Impressionen, das Erlebte, die vielen Geschichten und neuen Gesichter konnten unsere Körper nicht mehr verarbeiten. Wir waren gerade dabei, das Frühstück vorzubereiten, Bianca hatte mindestens schon 20 Toasts getoastet, als Pablo uns daran erinnerte, dass Brasiliens bester Tourmanager und gleichzeitig gutausehender Bassist von Questions uns zu sich zum Essen eingeladen hat. Also Toasts zurück in die Tüte, rein ins Auto und wieder essen. Helio und seine Freundin empfingen uns mit einem riesigen asiatischen Essen und wieder mal fraßen wir bis nix mehr ging. Eigentlich wollte ich mich direkt nach Ankunft wiegen, aber gerade da ging unsere Waage kaputt! Lustiger Zufall.
Zusatz von Christian: Ich hab mich gewogen, 2kg weniger was absolut unerklärlich ist bei den Massen die wir gegessen haben. Danach chillten wir auf seiner Couch bis Pablo uns in einen Supermarkt fuhr und wir typisch brasilianische Lebensmittel kauften um diese illegal in Deutschland einzuführen. Da die Show wieder sehr spät losgehen würde, pennten wir bis sieben. Ab ging es nach Campinas, 2 Stunden von Sao Paulo entfernt. Die Location war ein Rockerclub mit einer angenehmen Atmosphäre, besonders auffallend war das hohe Alter des Publikums. Mindestens die Hälfte hatten eine 3 oder höher als erste Ziffer vorzuzeigen. Der Anteil der Hardcore-Kids war dementsprechend gering, was aber überhaupt nicht schlimm war. Auch Pablo sah sehr glücklich aus. Micha hatte gleich von Anfang an einen weiblichen Fan, aber was soll der Geiz: Alte Töpfe machen gutes Essen, wie man in Brasilien sagt. Es gab wieder Käsepizza und wir guckten Freefight-Kämpfe im Fernsehen. Die Bühne bestand aus 2 Ebenen und war gewöhnungsbedürftig. Zumindest ich hatte Probleme klarzukommen und brauchte 3 Songs bis ich mental bereit war. Die letzte Show verlief wie alle Shows, wir waren unglaublich glücklich danach. Ich kann mich erinnern, wie während des Sets die Erkenntnis auf mich einbrach: Das war unsere verdammte letzte Show, wer weiß, wann wir wieder hier sind, scheiße, wer weiß, ob wir es überhaupt wieder nach Brasilien schaffen würden. Aber egal, in diesem Moment waren wir hier, wir hatten es geschafft, ich werde mir nie wieder von irgendwelchen scheiß Fickern was erzählen lassen. This band plays on!
Auf dem Fernseher auf dem vor der Show Freefight lief, lief nach der Show brasilianische Softpornos inkl. Vollbehaarung. Brazilian Waxing wurde demnach erst in den 90ern erfunden. Der Club-DJ spielte stilecht Rammstein, als wir fertig waren. Auch nicht schlecht. An fast jedem Abend gab es auch den obligatorischen Fan mit Rammstein-Shirt und ja, wir haben uns eigentlich vorgenommen Rammstein für die Tour zu covern, aber eigentlich gut, dass wir es nicht getan haben. Ich habe das Gefühl, dass es vermutlich schief gelaufen wäre…
Na jedenfalls, Campinas war sehr gut zu uns und abgesehen von dem einen Vollidioten der mich konstant auf portugiesisch zugelabert hat (und vermutlich ein dummer Patriot/Nationalist war, wie mir später erzählt wurde), waren die Menschen extrem nett und höflich. Wir alle mochten Campinas. Gegen 4 ging es zurück, das letzte Mal zum Casa do Metal. Dort verabschiedeten wir uns zum letzten Mal von der Hälfte von Questions und fuhren zu Pablo.

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Tag 17 & Tag 18 – 13.10. & 14.10.2012 – Sao Paulo – Lissabon – Coma City

Drei Stunden Schlaf waren drin, danach packten wir. Dadurch dass wir gut Merch verkauft haben, hatten wir genügend Platz für unsere Mitbringsel. Mein Schmutzwäschebeutel roch echt pervers. Der Trick ist ja, keine Plastiktüte sondern einen Stoffbeutel zu benutzen um Schimmel vorzubeugen. Das sind Dinge mit denen sich Rockstars wie wir uns rumschlagen müssen! Zum letzten großen Frühstück kam Edu/Sänger von Questions vorbei und wir schaufelten zum letzten Mal die fetten Avocados in uns rein, soffen Guarana und abartig süße Säfte. Dann gings los Richtung Flughafen. Pablo war etwas paranoid, weil Questions im letzten Jahr ihren Flug wegen Stau fast verpassten, und wir fuhren sehr sehr früh los. Ich hatte nix dagegen, bin ich von Natur aus vorsichtig was Zeiten angeht. Dies war dann natürlich das erste Mal, dass wenig Verkehr war und wir uns fast ohne Stau durch die Stadt schoben.
Die Gegend um den Flughafen ist weniger schön und irgendjemand dachte wohl es wäre eine gute Idee vier Gefängnisse um den Flughafen zu bauen. Naja, in dem Moment waren wir froh, dass es Richtung Heimat ging. Nicht weil es uns nicht gefallen hatte, die Zeit in Brasilien gehört vermutlich zu den eindrucksvollsten, die wir als Band erlebt haben, Geschichten, die wir noch alt, schrumplig und besoffen unseren Enkeln erzählen werden, die nur gelangweilt mit den Augen rollen. Die Erlebnisse, die Menschen, die Gastfreundschaft, die Begeisterung bei den Konzerten, all das hat uns bewegt und vermutlich verändert. Ich hoffe auch, dass es uns geholfen hat die ganze Scheiße in Deutschland in Perspektive zu setzen, neu zu verstehen. Bevor ich jetzt sentimental oder idiotisch werde, noch schnell die Zusammenfassung der letzten Tage. Am Flughafen ging alles rund, der übernette TAP-Mitarbeiter hat unser Equipment eingecheckt, uns 4 schöne Plätze im veralteten Flugzeug besorgt und wir hingen noch ca. 3 Stunden am Flughafen ab. Vorher holten wir unseren verlorenen Schlafsack ab und verabschiedeten Pablo, der sich wie ein Vater um uns gekümmert hat. Pablo, danke! Wirklich!
Der Fraß im Flugzeug war widerlich (Christian hats geschmeckt), ich trank Kaffee, Wein, Tomatensaft und Cola durcheinander. Mein Magen hat sich eh verabschiedet und ich haute nur die letzten Sargnägel drauf. Der Aufenthalt in Lissabon war diesmal verdammt kurz. Am Gate hörte man die ersten deutschen Stimmen und ich hatte das Glück auf dem Rückflug zwischen zwei Damen Mitte 50 zu sitzen, die sich über mich rüber über den Seniorentrip nach Portugal unterhalten haben. Die eine war komplett verrückt, die andere auch komisch und so betete ich, dachte mir, Scheiße, hast Brasilien überlebt und jetzt das, aber natürlich stand ich es durch und wir setzten auf. Es war ein gutes Gefühl nach Hause zu kommen, das gebe ich gern zu. Die Leute haben schön geguckt, als wir unsere Instrumente vom Gepäckband hievten und in dem Moment waren wir glaube ich wirklich alle etwas stolz auf das was wir hinter uns hatten. Vielleicht waren wir ja auch nur die vier ostdeutschen Trottel, die irgendwie versuchten, dass was sie bewegt in drei 2Steps und ein paar Moshparts zu packen, aber wir waren zumindest die vier ostdeutschen Trottel, die damit nach Brasilien gekommen sind. Und wir werden wiederkommen, nachdem wir in Japan, Georgien und im nahen Osten waren.

Ende

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UNITED AND STRONG